Der Weg zu den Tempeln von Mrauk U im Nordwesten von Myanmar führt über Sittwe. Die Hafenstadt ist bemerkenswert – aber nicht nur im positiven Sinn. Ein Reisebericht mit vielen Fotos.
Die staatliche Fähre verkehrt heute nicht. Deshalb chartern das deutsche Paar von der Chin-Tour und ich für den Rückweg von Mrauk U ein Boot. Auf Plastikstühlen nehmen wir Platz an Bord der „Winner“ und fahren auf dem Wasserweg durch den Rakhine-Staat im Nordwesten Myanmars. Unser Ziel: die Hafenstadt Sittwe am Golf von Bengalen, die von den britischen Kolonialherren Akyab genannt wurde. Von dort starten die Flüge nach Yangon.
Nach ein paar Stunden auf dem Kaladan-Fluss fängt es an zu regnen. Zwar ist der Kahn mit Planen überdacht. Aber wegen der vielen Löcher tropft Wasser überall hinein, macht uns nass und die Rucksäcke klamm.
Nirgends sonst in Myanmar regnet es so heftig
Der Regen wird immer stärker und lässt erahnen, wie ungemütlich es in dieser ebenen Flusslandschaft während der Monsunzeit werden kann. Schließlich gießt es in dieser Gegend so heftig wie sonst nirgends in Myanmar. Kein Wunder, dass Wirbelstürme immer so viele Opfer fordern. Denn offenes Gelände und Bambushütten bieten keinen Schutz.
Kurz vor Sittwes Hafeneinfahrt kreuzen Delfine unseren Kurs. Fischer spannen Netze im Fluss. Frauen stochern im Schlick nach Shrimps. Es regnet nicht mehr, aber Sittwes Wege bleiben schlammig. Als wir ankommen, schleppen Kinder schwere Reissäcke zu den Holzbooten. Jugendliche beladen Wagen mit massiven Eisblöcken.
Sittwe gleicht keiner anderen Stadt in Myanmar
Sittwe gleicht keiner anderen Stadt in Myanmar. Der bengalische Einfluss ist nicht weit entfernt von Bangladesch deutlich zu spüren. Die Hautfarbe der Menschen ist dunkler, und viel mehr Muslime leben in dieser Region. Außerdem sind Bettler unterwegs. Wohlstand wird hier nicht präsentiert. Wer auf dem Markt Schmuck verkaufen darf, gehört schon zu den Privilegierten. Natürlich gibt es viele nette Menschen in Sittwe. Dennoch empfinde ich die Stimmung als unterschwellig aggressiv. Manche Leute starren mit unfreundlichen Blicken auf meine Kamera. Auf dem Markt ignorieren mich Händler, obwohl ich bei ihnen etwas kaufen möchte. Und dann gibt es noch die Rohingya-Problematik…
Nur noch wenige Bewohner Sittwes sind Rohingya. Die Angehörigen dieser ethnischen Minderheit haben sehr dunkle Haut. Ihre äußere Erscheinung erinnert an Menschen aus dem geografisch nahen Bangladesch. Die muslimischen Rohingya mit eigener Kultur und Sprache haben kein einfaches Leben im buddhistisch dominierten Myanmar. Sie leben vermutlich schon seit 1000 Jahren in dieser Rakhine genannten Region. Doch Myanmars Regierung betrachtet die „bengalischen Muslime“ als illegale Einwanderer.
Die „am meisten verfolgte Minderheit der Welt“: Rohingya
Von den Vereinten Nationen werden die Rohingya sogar als die „am meisten verfolgte Minderheit der Welt“ eingestuft. Denn sie müssen seit vielen Jahren Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen aushalten. Immer wieder kommt es zu Gewaltexzessen gegen sie, zuletzt Ende 2012 mit mehreren Hundert Toten. Weil ihre Stadtviertel in Sittwe niedergebrannt wurden, leben die Rohingya nun in Lagern außerhalb.
Es riecht faulig-süß im Zentrum von Sittwe. Jeder Schritt im regengetränkten Matsch macht sich akustisch bemerkbar. Die Straßen kreuzen Fahrradrikschas, die hier Trishaws heißen.
Es riecht faulig-süß im Zentrum von Sittwe
Eine Moschee leuchtet im Nachmittagslicht. Doch der beißende Gestank einer öffentlichen Toilette gleich nebenan macht einen Besuch unmöglich. „Hier möchte ich nicht tot über dem Gartenzaun hängen.“ An diese Worte, die eine Freundin manchmal sagt, erinnere ich mich in Sittwe immer wieder.
Das deutsche Paar und ich sind zwei von nur wenigen Touristen in der Stadt. Den Sonnenuntergang verbringen wir an dem beliebten Ausflugsort The Point außerhalb am Meer. Bei Ruhe und Seeblick stoßen wir darauf an, morgen heil hier wieder wegzukommen.
Sittwes Fischmarkt spielt ganz oben mit, wenn es um eklige Märkte geht. Meine persönliche Nummer eins aber bleibt der in Tomohon im Norden der indonesischen Insel Sulawesi.
Sittwes Fischmarkt
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Doch schon sind Hunderte Menschen auf den Beinen, um den Fischern ihren Fisch abzunehmen. Sie landen direkt mit ihren Booten an und hieven den Fang aus dem Meer in Körben an den Strand, wo schon die Händler warten.
Andere Händler sitzen im Gebäude nur wenige Meter vom Wasser entfernt. Sie hocken vor auf Plastikfolien oder Holzplanken ausgebreiteten Waren: Shrimps, Austern, Barsche, Barakkudas – alles, was das Meer hervorbringt. Sogar zahlreiche Rochen liegen auf dem Boden im Dreck. Eine Gruppe von Männern steht umher. Einer schreit Worte in regelmäßiger Abfolge. Er scheint seine Rochen anzupreisen. Ein anderer schneidet die Tiere in zwei Hälften.
Während die Menschen dicht gedrängt um die Fische feilschen, sitzen Verkäuferinnen am Rande und bieten Imbisse an. Ein Mann mit Bauchladen hat sich auf Betelnuss spezialisiert. Kinder wärmen ihre Hände am offenen Feuer. Andere kauern mit tief ins Gesicht gezogener Wollmütze auf dem Boden und bewachen die gerade erworbenen Fische.
Etwas abseits steht ein junger Mann mit einem Motorradhelm, wie man ihn häufig sieht in Myanmar. Es handelt sich um einen Stahlhelm mit umgedrehtem Hakenkreuz auf der linken und einem Reichsadler auf der Vorderseite. Wahrscheinlich hängt dessen Popularität mit der Bedeutung der buddhistischen Swastika – der Vorlage für Hitlers Hakenkreuz – als Glückssymbol zusammen. „Nazi army“, sagt der Helmträger und grinst. Auch ein anderes deutsches Militärsymbol hielt Einzug in Myanmar. So wählte Iron Cross, die bekannteste Hardrock-Band des Landes, das Eiserne Kreuz als Bandlogo.
Gegen Mittag geht es zum Flughafen von Sittwe. Das von Zwangsarbeitern in traditioneller Architektur errichtete Gebäude bietet keinerlei Annehmlichkeiten. Immerhin befinden sich davor ein paar Restaurants, die im Grunde genommen nur aus Plastikstühlen unter Sonnenschirmen bestehen. Die Angestellten umwerben Fluggäste hartnäckig. Manche von ihnen nehmen in dieser „Airport Lounge“ Platz und bestellen Mohinga.
Am Flughafen Sittwe riecht es am Check-in nach Fisch
Beim Check-in läuft alles händisch ab. Kein Computer. Kein Bildschirm. Nichts, was Strom braucht. Die Passagiernamen stehen per Hand geschrieben auf einer Liste. Am Schalter riecht es nach Fisch. Neben der Dame der Fluggesellschaft liegt ein getrocknetes Exemplar, vermutlich ihr Mittagessen. Sie vergibt die Bordkarten.
Es geht weiter mit aufwändigen Kontrollen. Zuerst inspiziert ein Unformierter Pass und Bordkarte, stempelt die Dokumente ab. „Costum“ (Zoll) steht auf dem Holzschild vor ihm. Der nächste Beamte arbeitet für die Immigration. Er notiert Namen, Pass- und Flugnummer in einer Liste und fragt nach dem Anreisetag. Er macht ein Häkchen neben dem alten Eintrag ein paar Seiten zuvor in seinem Buch und vermerkt die Abreise.
Flughafen Sittwe: Eine Sicherheitskontrolle, die keine ist
Nun folgt eine Sicherheitskontrolle, die keine ist. Niemand schaut ins Gepäck. Trotzdem bekommen Rucksäcke den „Security checked“-Aufkleber, obwohl sie Waffen enthalten könnten. Stattdessen trägt ein weiterer Uniformierter erneut Passdaten in eine Liste ein.
Passagiere nehmen im Abflugbereich in Plastiksitzen Platz. Zur Toilette geht es immer der Nase nach. Die für Herren befindet sich gleich links neben dem „Body Check Room“. Durch das Fenster sehe ich die Landebahn. Dort steht bereits die Maschine, die mich gleich nach Yangon bringt. Endlich.
Auslandsreisekrankenversicherung
Wichtig! Unbedingt eine gute Auslandsreisekrankenversicherung abschließen, zum Beispiel von TravelSecure*, dem Testsieger bei Stiftung Warentest. Die Kosten dafür sind überschaubar. Aber falls wirklich etwas Ernsthaftes passiert, wird es schnell sehr teuer.
Reiseführer für Myanmar
Für Myanmar gibt es inzwischen eine große Auswahl an Reiseführern. Ein Klassiker ist natürlich der „Stefan Loose Reiseführer Myanmar“*. Ebenfalls empfehlenswert sind der „Lonely Planet“* sowie der „Reise Know-How“*.
Wie gefällt Dir dieser Reisebericht aus Sittwe in Myanmar?
Text und Fotos: Heiko Meyer
* Dies sind Affiliate-Links. Wenn Du darüber bestellst oder buchst, erhalte ich eine kleine Provision. Du bezahlst aber keinen Cent mehr!
Diese Beiträge könnten Dich ebenfalls interessieren:
Beim Chin-Volk in Myanmar: Tätowierte Spinnennetzfrauen
Myanmars kaum bekannter Schatz: Die Tempel von Mrauk U
Myanmars Nordwesten: Per Boot von Sittwe nach Mrauk U
30 Bilder, die sofort Lust auf eine Myanmar-Reise machen
50 Topstrände in Asien – und jede Menge Infos dazu
Lob? Kritik? Anmerkungen? Wir freuen uns auf Deinen Kommentar!
Gefällt Dir unser Blog? Dann folge uns auf Facebook oder Twitter und werde über jeden neuen Beitrag informiert!
30 Bilder, die sofort Lust auf eine Myanmar-Reise machen
Spektakuläre Heiligtümer, interessante Kulturen, schöne Landschaften, tolle Strände: Komme mit auf eine Bilderreise durch Myanmar und lasse Dich inspirieren für Deinen nächsten Trip.
Beim Chin-Volk in Myanmar: Tätowierte Spinnennetzfrauen
Im Chin-Staat in Myanmar leben die sogenannten Spinnennetzfrauen. Warum sie im Gesicht Tätowierungen tragen, steht in diesem Beitrag mit vielen Fotos.
Myanmars kaum bekannter Schatz: Die Tempel von Mrauk U – ein Reisebericht
Die etwa 150 Tempelruinen von Mrauk U im Nordwesten von Myanmar haben ausländische Besucher fast für sich allein. Ein Reisebericht mit vielen Bildern.
4 Kommentare zu „Wie keine andere Stadt in Myanmar: Ein Reisebericht aus Sittwe“
Pingback: Myanmars Nordwesten: Per Boot von Sittwe nach Mrauk U - Wo der Pfeffer wächst – Reisen und Speisen
Es ist super, dass es noch Orte gibt, wo Rucksäcke überhaupt nicht kontrolliert werden. Das zeigt doch die ganze Absurdität unseres Sicherheitswahns: Wo, wenn nicht in einer Stadt mit aggressiver Stimmung und einer unterdrückten (muslimischen) Minderheit, sollte jemals ein Flugzeug gesprengt oder entführt werden? Dass das weder in Myanmar, noch in Indonesien, Zentralasien oder Afrika passiert, zeigt doch eigentlich, dass diese grosse „Gefahr“ in echt gar keine ist.
Hallo Olaf, danke für Deinen Kommentar. Stimme Dir zu 100 Prozent zu! In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an den Flughafen von Leh im indischen Ladakh. Alles voller Militär, weil sich die Region in der Nähe der pakistanischen und chinesischen Grenze befindet. Dort wurde zwar das Gepäck kontrolliert. Aber den Ausweis oder Reisepass wollte wirklich niemand sehen… Viele Grüße, Heiko
Pingback: Shwedagon-Pagode in Yangon: Erstes Reise-Highlight in Myanmar - Wo der Pfeffer wächst – Reisen und Speisen